Elena Beis zur Notwendigkeit der Pressefreiheit für eine junge Demokratie
(Autor: Ghassan Abid)
2010sdafrika-Redaktion: Wir begrüßen bei „SÜDAFRIKA – Land der Kontraste“ Elena Beis – Buchautorin, Journalistin und Südafrika-Kennerin. Frau Beis, schon 1997 waren Sie das erste Mal in Südafrika und gegenwärtig leben Sie in Kapstadt. Was unterscheidet das Südafrika von 2010 mit dem von 1997?

© Elena Beis (Quelle: Louis Vorster)
Antwort: Ich habe 1997 ein sehr gespaltenes Land kennengelernt. Ich erinnere mich, dass an einem Strand in Kapstadt ausschließlich Weiße und an einem anderen ausschließlich Schwarze gebadet haben – und das drei Jahre nach Abschaffung der Apartheid. Schwarze Arbeiter haben ihre weißen Arbeitgeber nicht in die Augen geschaut. Mir kamen viele schwarze Südafrikaner unglaublich eingeschüchtert vor. Generell habe ich den Umgang zwischen den unterschiedlichen kulturellen Gruppen des Landes als extrem gezwungen und unentspannt empfunden.
Unter weißen Südafrikaner herrschte damals sehr, sehr große Angst und Unsicherheit, was aus dem Land werden würde. Das hat sich mittlerweile verändert – der Umgang zwischen weiß und schwarz ist sehr viel selbstverständlicher geworden, vor allem in den Städten. Die große Angst und Unsicherheit hat sich gelegt. Südafrika hat mit vielen Problemen zu kämpfen, und einige weiße Südafrikaner befürchten immer noch, dass das Land von korrupten Politikern in simbabwische Verhältnisse heruntergewirtschaftet werden könnte, aber die Mehrheit der Südafrikaner sieht das Potential des Landes, steht hinter dem Land und seiner Buntheit und ist bereit, Südafrika weiter aufzubauen.
Wenn man 1997 durch die Straßen gegangen ist, hatte man das Gefühl, die Menschen wissen noch nicht so recht, was sie mit ihrer neugewonnenen Freiheit anfangen können. Diese zurückhaltende, unsichere – teils beklemmende – Atmosphäre der Mitt-Neunziger ist einer intensiven Lebendigkeit gewichen. Das ganze Land ist sehr viel selbstbewusster geworden.
2010sdafrika-Redaktion: Sie schreiben für verschiedene Medien aus Deutschland und Südafrika. Für die TAZ haben Sie im August dieses Jahres einen Artikel zur Pressefreiheit in Südafrika verfasst, wonach die ANC-Regierung mit dem „Protection of Information Bill“ – auch Secrecy Bill genannt – die Berichterstattung im Lande grundlegend regulieren möchte (siehe 2010sdafrika-Artikel vom 02. September 2010). Wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung und das mögliche Inkrafttreten des Gesetzes im Hinblick auf Ihre journalistische Arbeit?
Antwort: Ich finde die Diskussion um die „Protection of Information Bill“ und das „Media Appeals Tribunal“ – die zwei vom ANC, der südafrikanischen Regierungspartei, anvisierten Gesetzesvorschläge, die Medieninhalte und Journalisten in Südafrika stark reglementieren und einschränken würden – sehr beunruhigend. Schon die Idee, in einer Demokratie, ein Gesetz vorzuschlagen, das vorsieht, dass Journalisten, die „sensible Informationen“ veröffentlichen (wobei Politiker willkürlich selbst festlegen können, was „sensibel“ ist), mit bis zu 25 Jahren Haft bestraft werden, finde ich absurd – geschweige denn, tatsächlich darüber im Parlament zu beraten.
Man muss allerdings auch erwähnen, dass es in dem ganzen Prozess ein paar positive Überraschungen gab. Einige hochrangige ANC-Politiker wie der Vizepräsident des Landes, Kgalema Motlanthe, haben sich gegen die Gesetze ausgesprochen – es scheint also auch verantwortungsbewusste Regierungspolitiker zu geben, die nicht auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, sondern die Gefahren erkennen, die mit einer Einschränkung der Pressefreiheit einhergehen. Außerdem sind die rege Diskussion und der starke Widerstand gegen diese Gesetze in Südafrika bereits ein positives Zeichen für das Land und das junge Demokratiebewusstsein hier.
Im Augenblick sehe ich meine Arbeit durch die „Protection of Information Bill“ und das „Media Appeals Tribunal“ weder gefährdet, noch eingeschränkt. Sollten diese Gesetze tatsächlich vom Parlament verabschiedet werden, wären vor allem die südafrikanischen Enthüllungsjournalisten davon betroffen, die jede Woche neue Korruptionsskandale ans Licht bringen.
2010sdafrika-Redaktion: Im Western Cape, in welcher auch Kapstadt liegt, ist der ANC relativ schwach aufgestellt. Das Western Cape ist die einzige von neun Provinzen, in welcher der ANC nicht in Regierungsverantwortung ist und die Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) die Macht über diese Provinz ( = Bundesland) übernehmen konnte. Wie erklären Sie sich diese starke Stellung der DA unter Helen Zille in dieser Provinz?
Antwort: Südafrika ist eine junge Demokratie mit einer Geschichte, die von Machtkämpfen, Kriegen und der forcierten Abgrenzung der ethnischen Gruppen voneinander geprägt ist. Die Wähler tendieren daher dazu, entlang ethnischer Linien zu wählen. Schwarze Südafrikaner wählen vornehmlich den ANC und weiße die Oppositionspartei Democratic Alliance, die die deutschstämmige Helen Zille leitet – und die aufgrund ihrer mehrheitlich weißen Mitglieder bisher als „Weißenpartei“ wahrgenommen wurde.
Farbige Südafrikaner – die sogenannten Coloureds gemischter Abstammung, die in der Provinz Western Cape die Mehrheit bilden – haben früher mehrheitlich für den ANC gewählt. Aufgrund unerlöster Wahlversprechen und dem Eindruck, dass der ANC sie ihren schwarzen Mitbürgern gegenüber benachteiligt, wenden sie sich zunehmend der Democratic Alliance zu. Helen Zille hat ihre Macht vor allem ihrer wachsenden Popularität bei den farbigen Wählern zu verdanken. 2009 konnte ihre Partei die absolute Mehrheit im Western Cape erringen – das wäre noch vor fünf Jahren unvorstellbar gewesen. Dieses Jahr (2010) hat die DA sogar im Township Gugulethu die Lokalwahlen gewonnen, wo ausschließlich Schwarze leben, was zeigt, das auch die schwarzen Wähler anfangen, den übermächtigen ANC angesichts grassierender Korruption und schlechter Staatsleistungen für die Armen abzustrafen. Schwarze Südafrikaner fühlen sich dem ANC traditionell sehr verbunden und verpflichtet – schließlich war es die Befreiungspartei, die sie aus der Apartheid und Unterdrückung herausgeführt hat.
Die Provinz Western Cape ist übrigens die einzige südafrikanische Provinz, in der Farbige und nicht Schwarze die Mehrheit bilden. Da nur 8% aller Südafrikaner weiß sind, beeinflussen ihre Präferenzen die Wahlergebnisse eher wenig.

© Buchcover von „Fettnäpfchenführer Südafrika“
2010sdafrika-Redaktion: Ebenfalls sind Sie Buchautorin. In Ihrem Buch „Fettnäpfchenführer Südafrika: My name is not sisi. Kulturkollision x 11“ (das Buch wird demnächst bei uns rezensiert) klären Sie Ihre Leser anhand eines fiktiven deutschen Paares, welches Südafrika bereist, über dortige „GOs“ und „NO GOs“ auf. Können Sie uns jeweils ein GO- und NO GO-Beispiel benennen?
Antwort: Man sollte immer einen freundlichen und höflichen Umgangston wahren, auch wenn man genervt ist. Eine forsch-direkte Art, wie sie bei uns in Deutschland durchaus akzeptabel ist, wirkt auf Südafrikaner oftmals offensiv. Ein No GO wäre einen südafrikanischen Braai (Grill) als „barbeque“ zu bezeichnen, ein Rugby-Spiel als American Football, oder einen Afrikaaner (Buren) gar als Holländer.
2010sdafrika-Redaktion: Man geht bei deutschen Behörden davon aus, dass sich ca. 100.000 Deutsche in Südafrika befinden sowie 1 Million Deutschstämmige. Inwieweit spielen Deutsche sowie Deutschstämmige eine Rolle im Alltagsleben des kosmopolitischen Kapstadts?
Antwort: Deutsche sind sehr präsent im Kapstädter Alltag. Nach Englisch und den unterschiedlichen afrikanischen Sprachen, die hier gesprochen werden, ist deutsch die meistgehörte Sprache. Es gibt deutsche Bäckereien, eine Biergarten mit deutschem Bier und einen deutsche Metzger, was dem Heimweh hier ein bisschen entgegenwirkt. Zu den offiziell ca. 25.000 einheimischen Deutschen in Kapstadt, kommen jedes Jahr mindestens weitere 25.000 deutsche Touristen zu Besuch.
Es gibt auch unheimlich viele deutschstämmige bzw. halb-deutschstämmige Südafrikaner. Die meisten davon sprechen allerdings gar nicht, oder nur sehr wenig Deutsch – sie sind in der Regel hier geboren und aufgewachsen und sehen sich in erster Linie als Südafrikaner.
2010sdafrika-Redaktion: Welche persönlichen Träume würden Sie noch gerne verwirklichen?
Antwort: Ich möchte noch sehr viel mehr von Afrika sehen, sehr viel mehr unterschiedliche Realitäten und Perspektiven kennenlernen – und sehr viel mehr darüber schreiben.
2010sdafrika-Redaktion: Elena Beis, Korrespondentin der taz in Südafrika und Buchautorin, vielen Dank für das wirklich sehr interessante Interview!
taz-Blog von Elena Beis:
http://blogs.taz.de/sa-clash/
Sarah Britten in interview
„The poor who rely on service delivery by the government will suffer most.“
(Autor/ Editor: Ghassan Abid)
Deutsche Interview-Zusammenfassung:
Sarah Britten ist in Deutschland weitgehend unbekannt. In Südafrika zählt sie zu den Who’s Who der nationalen Blogger- und Journalistenszene. Eigentlich kommt sie aus der Werbebranche und analysierte für ihre Doktorarbeit die nationale Identität Südafrikas aus der ökonomischen Perspektive heraus. Dementsprechend hält Sarah Britten fest, dass das Multikulti-Konzept in Südafrika besser funktioniere als in den USA oder Australien, wenn es beispielsweise um die muslimische Gemeinde geht. Zwar steht dem Land noch viel Arbeit bevor, doch verbinden eine gemeinsame Nationalflagge, Verfassung und Braai das Volk. Die infolge der Kriminalität ausgelöste Abwanderungswelle von mehrheitlich gut ausgebildeten Südafrikanern weißer Hautfarbe, welche als „brain drain“ bezeichnet wird, begegnet die Journalistin mit einer zu beobachtenden Gegentendenz. Denn zunehmend mehr Bürger kehren in ihre Heimat zurück. Die Regierung ist nun in der Pflicht, die Arbeitsbedingungen – vor allem für medizinisches Personal – zu verbessern und die Ursachen der Kriminalität anzugehen. Presse- und Meinungsfreiheit in Südafrika sieht Sarah Britten durch die geplanten Regulierungsvorhaben seitens der Regierung als nicht ausrangiert an, sondern eher als eingezwängt. Sie betont, dass die größten Leidtragenden der Secrecy Bill die Armen selbst sein werden. Deutschland besuchte Sarah Britten im Oktober 2011, wobei ihr Berlin sehr gefallen hat und sie diesen Ort auf Basis ihrer Erfahrung als beste Stadt für Touristen bezeichnet. Gegenwärtig bloggt sie für das renommierte südafrikanische Online-Medium Mail & Guardian.
© Sarah Britten, blogger, journalist and book author. She is also a blogging member of Thought Leader from Mail & Guardian.
2010sdafrika-editorial staff: We would like to welcome on „SÜDAFRIKA – Land der Kontraste“, the German Gateway to South Africa, Ms. Dr. Sarah Britten – blogger, journalist and book author.
You completed your PhD at the University of the Witwatersrand with focus on new national identity in South African advertising industry. Is South Africa counting to the successful multicultural societies?
Answer: We have our problems but for the most part we muddle through. In one respect, we manage multiculturalism far better than most: unlike other nations, Muslims are one of our many communities and are not seen as a threat as they are in the US or Australia.
2010sdafrika-editorial staff: How would you describe South African identity? Does it exists?
Answer: South Africa is very diverse and we have a long history of division between groups. So we have had to work hard to find something we have in common. We have our flag, which is a very important symbol of the nation. There is the braai – our version of the barbecue – which is now celebrated as National Braai Day on September 24. And there are other aspects of life that only people who are South African or who live in South Africa will understand: minibus taxis, biltong, robots (traffic lights) and so on.
We also have our constitution, which celebrates its 15th birthday this February. This document is the bedrock of our democracy and I have worked closely with Media Monitoring Africa on the strategy for a campaign we are launching soon. We will be asking ordinary South Africans to publicly declare their support for our constitution, as a nation-building exercise.
2010sdafrika-editorial staff: South African media are reporting constantly about the brain drain phenomena, which means, that well-trained South African citizens – especially whites – are emigrating to UK, Australia oder New Zealand. How should government counteracting to this challenge?
Answer: The brain drain dominated public discourse in the earlier part of the 2000s, but in the wake of the recession, some South Africans returned. In general, government needs to improve working conditions, especially for medical staff. The underlying factors that drive emigration – mainly crime – have been there for a long time. To address crime is no simple matter, because it means tackling the root causes, poverty and a culture of lawlessness, as well as improving policing and the criminal justice system. Affirmative action policies have also been cited as reasons driving skills from the country.
2010sdafrika-editorial staff: You are blogging on Thought Leader, an editorial group blog of quality commentary and analysis from Mail & Guardian. Thought Leader is known as a thought-provoking forum. Do you think, that the freedom of speech & press freedom could be scrapped by the South African government (e.g. by Secrecy Bill)?
Answer: Freedom of speech and press freedom won’t be scrapped, but they will be constrained. The Secrecy Bill will have implications far beyond the media. Because it will make it more difficult for civil society to have oversight of state activities, especially corruption, it will impact all aspects of life. The poor who rely on service delivery by the government will suffer most.
2010sdafrika-editorial staff: How would you characterize your profession as journalist and blogger? Which aims are you following with your editorial writings?
Answer: Blogging is quite different from journalism. Because it isn’t paid, I write about whatever I feel like – anything from politics to lifestyle – and I don’t spend as much time crafting it because I can’t justify it. Journalism, because I get paid for it, requires getting quotes from sources, checking facts, and crafting.
Both blogging and journalism are sidelines for me, as my main source of income is communication strategy and social media.
2010sdafrika-editorial staff: What kind of perception do you have from Germany and German literature?
Answer: I visited Germany in October last year – Bonn and Berlin – and enjoyed my time there. There is so much culture and history, and Berlin is the best city for tourists I have ever visited. I would recommend it to anyone. Interestingly enough, my first book was translated into German! I don’t think we see enough German literature here in South Africa. I know German literature through my university comparative literature studies, and German philosophy has had an immense impact on Western thinking.
2010sdafrika-editorial staff: Which further dreams would you like to realize, especially in editorial and literary context?
Answer: I have many projects in the pipeline – too many in fact. I would like to publish more serious fiction, as well as non-fiction and commercial crime fiction. I will be kept busy for a long time to come!
2010sdafrika-editorial staff: Sarah Britten – blogger, journalist and book author – thank you very much for this interview.
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Veröffentlicht unter Kultur und Gesellschaft [Culture and Society], Literatur und Wissenschaft [Literature and Science], [ENGLISH SERVICE]: Articles for Non-Germans
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